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Träge Sommertage
Wir hatten uns so nach ihnen gesehnt und nun sind sie da, die trägen Sommertage. Und nun wissen wir nicht so recht, was mit ihnen anfangen, weil sie eben träge sind. Etwas unbestimmt, etwas ungeplant, etwas unfokussiert, etwas nicht-so-wie-es-sonst-ist. Wir sollten doch, wir könnten doch, wir müssten doch, aber wir machen nicht. Wir machen nichts, wir lassen uns treiben. Wir dachten, es sei das grosse Glück, aber es ist eben doch nicht so, wie wir denken, dass es sein müsste. Aber ändern mögen wir es auch nicht, da die Tage eben träge sind.

An solchen Tagen sollten wir Personal haben. Wir sollten überhaupt immer Personal haben! Könnten Sie uns bitte eine Apérol Spritz herbringen und dann verschiedene Salate einkaufen für heute Abend, aber gell bio! Ja stellen Sie den fertigen Salat in den Kühlschrank und machen Sie doch gleich separat Sauce für eine Woche. Könnten Sie dann rausfinden, wann morgen der Zug fährt, wir müssen um 17h in X sein. Und bestellen Sie doch gleich noch ein Taxi. Ja, und dann brauchen wir noch einen Termin mit der Steuerberaterin. Dafür können Sie den Termin mit dem Vorstand absagen, den brauchen wir nicht. Wichtig wäre auch noch, wenn Sie alle Abfälle recyceln und die Betten frisch beziehen.

Und nein, eigentlich wollen wir dies alles gar nicht sagen müssen, sondern das Personal sollte so gut eingespielt sein, dass es das selber weiss. Klingt unheimlich bourgeois, wir würden aber wetten, dass das alle wollten, wenn sie könnten: Personal, das einem alles abnimmt, was einen an Kleinigkeiten nervt, aber notwendig ist und Zeit frisst. Wenn man träge ist, macht man es eh nicht und merkt vielleicht, dass es eben nicht notwendig ist, oder jedenfalls nicht jetzt notwendig ist. Und wenn wir lange genug träge sind, dann wird es plötzlich nicht mehr notwendig gewesen sein.

Träge ist auch unentschieden. Sollten wir nun dies oder jenes tun oder es doch lassen? Sollen wir es jetzt tun oder später? Sollen wir weder dies noch jenes tun, sondern beides lassen? Zum Schwimmen oder ins Kino gehen? Putzen oder jäten? – Ach, es fehlt einfach das Personal! Und es fehlt die Entscheidungskraft. Immer wählen, immer entscheiden. Treffen wir uns, wann treffen wir uns, wie kommen wir dahin, was müssen wir mitnehmen was essen wir, welches Gemüse kaufen wir ein, welches Olivenöl, das in der Literflasche oder in der Halbliterflasche, bio oder nur kaltgepresst, mit Zitrone oder ohne? Immer entscheiden, immer wählen. Die Konsumwelt ist sooo anstrengend. Es fehlt einfach das Personal, das weiss, was zu tun ist.

Oder es fehlt die Auswahlslosigkeit. Es gibt ein Oel - nicht mal Olivenöl. Der Kommunismus zu Sowjetzeiten hatte auch seine Vorteile. Hat man etwas vermisst? Vielleicht mal Bananen. Aber ansonsten hat man sich nur genervt übers Anstehen. Anstehen müssen wir nicht. Alles ist immer überall erhältlich, wenn es sein muss, 24 Stunden lang. 24 Stunden lang wissen müssen, was wir wollen. 24 Stunden lang wählen müssen, 24 Stunden lang entscheiden müssen. Das ist öde, das macht müde, doch das ist nicht träge.

Träge ist anders und in der Trägheit liegt auch Kraft. Träge ist eigentlich erholsam, weil sich der Geist dem Wählen entzieht. Träge ist aber nur erholsam, wenn es dazwischen nicht träge zu und her geht. Immer träge ist Couch Potatoe. Immer träge ist faul und feige. Denn immer träge ist sich entziehen, sich dem Leben nicht stellen, sich nicht bekennen, sich nicht entscheiden, vermeintlich immer alle Möglichkeiten offen haben, aber keine davon ergreifen. Immer träge ist nicht bei sich sein.

In den trägen Sommertagen liegt jedoch Kraft, da wird Kraft angelegt, indem die Kraft für eine Weile niedergelegt wird. Träge Sommertage tragen weit.

emg, Brissago, 16.8.19
 
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