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Ich bin eine Vitrine
Aufgabe im Rahmen des Kurses "surrealistisches Schreiben": Im Zentrum steht ein Möbelstück
Ich bin eine Vitrine und in mir hat es nur schöne Sachen: glänzige Sachen, güldene Sachen, silbrige Sachen, bauchige Sachen, schlanke Sachen, kristallene Sachen, gläsige Sachen, geheimnisvolle Sachen, farbige Sachen, wertvolle Sachen, antike Sachen.
Jetzt möchtet Ihr sicher gerne wissen, was das für Sachen sind, aber das verrate ich Euch nicht. Da müsst Ihr schon mal vorbeikommen, Euch selber einladen und selber schauen. Ihr kriegt dann auch etwas kredenzt von mir.

Ich selber bin ja alt, also ziemlich alt, um ehrlich zu sein, sehr alt. Den Holzwurm habe ich auch schon gehabt; oder eigentlich eher: Er hat mich gehabt. Sie haben mich dann eingeölt, seither habe ich Ruhe.

Ich selber aber gebe keine Ruhe. Denn ich kann ganz schön quietschen und etwas unanständige Töne von mir geben, aber nur aus dem Bauchraum heraus. Ich glaube, man nennt das bei unsereins «aus der Schublade heraus». Nein, nein, das hat nichts damit zu tun, dass ich aus dem «Nähkästchen heraus» plaudern würde, so was mache ich nicht, meine intimen Details würde ich nie preisgeben. Und definitiv nichts zu tun habe ich auch mit der untersten Schublade, die liegt bei mir unter der Gürtellinie und ich halte sie für primitiv und proletarisch.

Und das mag ich gar nicht, denn ich habe Stil, zwar nicht klassischen Stil, sondern klassizistischen Stil. Fragt mich nicht, was der Unterschied ist, aber es ist einfach so: Ich habe klassizistischen Stil. Jugendstil hätte mir auch noch gefallen, aber dafür bin ich zu alt.
Und ehrlich gesagt bin ich ja froh, dass ich nicht später geboren bin, denn sonst wäre ich voll «Biedermeier» geworden. Stellt Euch das mal vor: Ich und Biedermeier! Bieder und Meier – das sagt ja schon alles…

Ja, ja, ich weiss, Ihr haltet mich inzwischen für schnippisch und naseweis, möglicherweise gar für arrogant – doch das geht mir so was von an der Hinterwand vorbei. In meinem Alter kann man sich so was erlauben, da braucht man nicht mehr zu gefallen und falsche Rücksichten zu nehmen. Da habe ich meine klaren Linien; eben, die klassizistischen Linien und von denen weiche ich kein Jota ab, denen bleibe ich treu. So wie ich hier bin und stehe.

 
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